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Pressebericht

Ehrung für den Freikletterpionier Kurt Albert

Kurt Albert, Erfinder des Rotpunktkletterns und weltweiter Expeditionskletterer, wurde als „Berggeist des Jahres 2008“ ausgezeichnet.
Seit fünf Jahren verleiht der Münchner Alpenklub Berggeist, eine Sektion „tüchtiger Bergsteiger“, den Titel „Berggeist des Jahres“ an Personen, die sich um die Beziehung zwischen Mensch und Bergen besonders verdient gemacht haben. Bisherige Preisträger waren Hermann Magerer, Hermann Huber, Bernd Kullmann und Silvia Huber, die Hüttenwirtin des Hans-Berger-Hauses.
„Berggeist des Jahres“ 2008 wurde der Franke Kurt Albert (54), der in den 1970er Jahren den „Roten Punkt“ für frei begangene Kletterrouten zum Markenzeichen machte und in den letzten zwanzig Jahren, oft zusammen mit Stefan Glowacz, wilde Wände rund um die Welt erstbegangen hat. Etwa in Patagonien, Kanada, Venezuela oder Pakistan – Highlights sind die Routen „Royal Flush“ (IX) am Fitz Roy und „Eternal Flame“ am Trango Tower.
Hans-Martin Götz, häufiger Kletterpartner und langjähriger Freund von Kurt, hielt die Laudatio auf den „Begründer des Quantensprungs in der Felskletterei“; er habe den Kletterern den Roten Punkt „wie einen Stachel ins Fleisch getrieben“, der die Klimmergemeinde gleichzeitig eine (als Qualitätsvorgabe) und spalte, weil er sie an ihre Unvollkommenheit erinnere.
Der originelle Franke freute sich über die Ehrung, erklärte aber, die „Idee des Freikletterns gestohlen zu haben“: nämlich von den Sachsen wie Rudolf Fehrmann, „auf deren Schultern“ er stehe.
Es war der zweite Preis für den Kurt Albert in diesem Jahr; im September war ihm der „King Albert Mountain Award“ verliehen worden. Diese Medaille ging auch an das Berggeist-Mitglied Gerhard Baur; sein Film über Kurts erste freie Begehung des Schweizer Wegs (IX-) an der Westlichen Zinne 1987 war der Höhe- und Schlusspunkt des Festabends. Zwei weitere „Berggeister“ sind ebenfalls Träger der König-Albert-Medaille: der Bergfotograf Jürgen Winkler und „Sicherheitspapst“ Pit Schubert.

Laudatio von Hans-Martin Götz

Der Herbst ist ja bekanntermaßen die Zeit des ‚Rufes’. Mich hat er vor zwei Wochen bei der Olivenernte erreicht – die zweitbeste Beschäftigung in dieser Jahreszeit. Kommt gleich nach Klettern in Patagonien. Aber das Letztere sollte heuer nicht sein und so also nun dieses:
Zum ‚Rufen’ im Herbst. Oder besser: Zum ‚Gerufen werden’. Also, euer Vizepräsident ruft mich an, – als Notnagel, machen wir uns nix vor. „Der Glowi hat mir abgesagt – also musst du ran.“ Nun das ist zwar nicht so entzückend, aber im Reigen der zu der Jahreszeit Gerufenen, wie „Nobel“-frauen und -männer auch nicht so schlecht. Da war noch etwas mit dem zur Preisverleihung gerufen werden: Im Rahmen einer echten Gala hat da ein sogenannter Laudator sich doch eine nette Schlappe geholt, als Reich-Ranicki nicht mehr die ihm zugedachte Ehrung annehmen wollte.

Und so stellt sich auch mir gleich drängend die Frage: „Lieber Kurt Albert, wirst du denn heute die dir zugedachte Ehrung auch annehmen?“

Gut so. Sonst könnt ich mir die Anstrengung gleich sparen und zum gemütlichen Teil des Abends übergehen.

Und wo wir schon soweit wären, will ich gleich noch eine weitere Allegorie einführen. Den Kurt als Begründer des Quantensprungs in der Felskletterei, als Ex-Mathe- und Physiklehrer wohl eindeutig prädestiniert, dies für uns zu tun. Ja, mit der Erfindung des roten Punktes bist du quasi als Reinkarnation von James Bond gekommen, nicht um die Welt zu retten, aber immerhin um uns vom Mief der Altvorderen endgültig zu befreien. Nur hast du uns nicht ein Quantum von Trost gespendet, sondern einen anhaltend und fortwährenden Stachel tief ins Fleisch getrieben, der uns Kletterer eint und gleichzeitig spaltet.

Eint – weil er uns eindeutige und unmissverständliche Qualitätsvorgaben macht, wie wir eine Route zu bewältigen haben; und aber auch spaltet, weil er so sehr an die menschliche Unvollkommenheit uns erinnert. Trotzdem schulden wir dir dafür uneingeschränkten Dank, denn ja – die Freikletterbewegung wäre sicher auch ohne dich ins Rollen gekommen, aber wir Deutschen oder zumindest wir deutschsprachigen brauchen die Lehre, die uns den Weg in die Zukunft weist. Und da warst du, Kurt, mit dieser nur dir eigenen undogmatischen Haltung – man kann’s natürlich auch Wurschtigkeit nennen – und gleichzeitig deinem kompromisslosen Vorleben und keinen Zweifel daran lassen, wie der Rotpunkt-Gedanke mit Leben zu füllen und zu interpretieren sei, unersetzlich.

Als am Rande begleitender Beobachter aus diesen Tagen würde ich gerne nur von lustigen und großartigen Tagen und Nächten aus den modernen Zeiten der Interpretation vom Leben in der Tonne des Diogenes alias Oberschöllenbach berichten (für die weniger Eingeweihten: eine wilde WG – nein, nein, es war keine Kommune mehr …).

Ich möchte aber auch nicht das Traurige unerwähnt lassen, weil’s sich einfach auch so gehört, dass auch manche der frühen Begleiter in dem Wettstreit der Kräfte auf der Strecke blieben. Zuvorderst zu nennen der Flipper Fietz und die Ingrid.

Trotzdem: es war kein Ausscheidungsrennen und auch keine deutsche Adaption von Survival of the Fittest – aber die 80er Jahre gaben schon eine Vorahnung auf das, was uns im dann Leistungssport Klettern noch so alles blühen sollte. Vielleicht – wenn ich das weiterhin kritisch anmerken darf – war dies dein einziger historischer Irrtum, an die Selbstregulierung der freien, losgelassenen Kräfte zu glauben. Und nicht mehr zu mahnen. Aber dich aufzuschwingen, um für den Erhalt einer Ethik zu kämpfen, war deine Sache nicht. Wenn es um dich selbst und deine Taten ging, warst du ja auch keiner, der damit auf dem Markt wucherte. Im Gegenteil: vieles von dem, was dich als Kletterer auszeichnet, bleibt den allermeisten bis heute verborgen. Und das ist auch gut so. Aber es bedeutet mir eine Freude, heute noch das eine oder andere aus dem Unerkannten der Person KA hervorzuheben:

Zum einen ist es dein Gespür für die Linie. Damit ist gemeint: die kletterbare, die einzig mögliche oder ästhetisch eindrucksvollste, aber auch die objektiv am sichersten. Bei so vielen gemeinsamen Unternehmungen saßen wir häufig wie der berühmte Ochs vorm Berg, bis uns Kurt mit einem Vorschlag buchstäblich erlöste. Danach war alles nur noch Frage des Könnens oder Wollens oder eben des Durchhaltens. Wir sollten uns aber einmal darüber im Klaren sein, dass genau dies Bergsteigen im noch Unbekannten ausmacht: die perfekte, unvergleichliche Symbiose einzugehen: von Idee gleich Kreativität; Mut gleich Spannung und Tatkraft gleich Aktion. Darin ist Kurt der Meister aller Klassen.

Und noch eine Geschichte aus dem Reich des Unvergleichbaren:
Im vorletzten Februar sind wir uns – zufällig – begegnet nach einem zuerst gescheiterten Begehungsversuch am Fitz Roy, oben am Passo Superiore (dieser allem Irdischen entsagenden Spot mit den Eishöhlen). Ich war an dem verrückten Ort schon ca. 15-mal in meinem Leben – bis vor ein paar Jahren meist nur mit meinem Partner, jetzt in jüngeren Jahren eher mit Missachtung strafend, weil durch zunehmende Frequenz verpisst und verschissen -, auch um meist unverrichteter Dinge wieder heimzugehen. Jedesmal wieder hinab mit trüben Gedanken den steilen Gletscher zum kleinen Lago de Los Tres. Erst dort auf den Moospolstern legt sich dann die Anspannung in einer gewissen Erleichterung, auch ohne Gipfel wieder zurückzukommen. Also wir steigen gemeinsam den aufgeweichten Gletscher hinab. Ich war sauer, weil auch meine biologische Uhr tickt, und war unangeseilt, bis mich Kurt eher so nebenbei auf dieses Versäumnis hinweist. Schließlich hatte er schon an einer der mutigsten Rettungsaktionen über diesen Gletscher teilgenommen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr, ob ich mich dann anseilte oder nicht. Jedenfalls wir waren im Gespräch zusammen und das war gut. Dabei hab ich ihn gefragt, wie oft er denn schon an diesem „Sch…-Pass“ oben war (wir wissen ja fast alle, dass der Kurt mit Zahlen umgehen kann); bei jedem anderen wär’ ich nach Nennung der Zahl in schallendes Gelächter ausgebrochen, denn die Antwort war schlicht atemverschlagend: “120 plus!“

So eine Zahl gewinnt ja erst beim zweiten Hinhören an Inhalt oder Bedeutung, je nachdem wie man sie zerlegt: 120.000 Höhenmeter in dem Falle, wenn man die gesamte Distanz von Chalten rechnet oder etwas weniger vom früher häufigeren Startplatz Rio Blanco aus. Dann bedeutet es jedenfalls viele zig Tonnen Gewicht auf dem Rücken über zum Teil beschissenes Absturzgelände. Und es bedeutet zumeist grenzenloses Mitschleppen von Enttäuschungen oder unerfüllten Hoffnungen. Wenngleich der Kurt von dort oben aus auch Großartiges geleistet hat. Als wichtigstes sicher die atemberaubende Linie Royal Flush am Fitz.

Mir wurde in dem Moment aber eines schlagartig klar: welche Liebe diesen Mann auf und in die Berge treiben muss. Mit welcher Leidenschaft er dies nun schon seit fast 50 Jahren tut. Nein, und eben hoffentlich nicht weiser dabei wird.

Lieber Kurt, ein bisserl was von dieser großen Leidenschaft lass’ für uns Epigonen auch übrig. Lass auch uns atmen von diesem Geist des immer wieder Aufbrechens ins Unbekannte ins Unfassbare.

Lass uns Teilhaben am Prozess des in Würde Reifens; was manche als Altwerden bezeichnen, lass uns mit deiner’ Internal Flame’ ersticken.

Du bist wirklich fabelhaft, Kurt. Und du hast jeden Preis, auch diesen, mehr als verdient.